Provinzposse oder ehrliche Auseinandersetzung?

Provinzposse oder ehrliche Auseinandersetzung?

In den Nachrichten des rrb am 4. Dezember bekam die SPD aus Spremberg eine große Plattform zur besten Sendezeit, ihre Sicht auf Erwin Strittmatters „fragwürdige Lücken“ in dessen Militärbiografie darzulegen und der Stadt und dem Landkreis (Gymnasium) Ratschläge zu erteilen, wie sie mit dem Namenspatron umzugehen haben.

Man könnte es für persönliche Animositäten zwischen Lokalpolitikern abtun und sagen, sollen sie doch polarisieren. Doch es geht um mehr: Den 100. Geburtstag des Autors würdig zu feiern oder nicht.

Der Erwin-Strittmatter-Verein sagt ja! Er war nicht nur der meistgelesene und –beliebteste Schriftsteller der DDR, dessen Werke in 38 Sprachen übersetzt wurden, er ist auch jemand, der die Mentalität der einfachen Menschen erfasst hat, in seiner Kurzprosa seine Liebe zur Natur dargestellt und dessen unnachahmlicher Umgang mit der Sprache seine Leser begeisterte und noch begeistert.

Es ist klar, dass man einen Künstler nicht nur nach seiner Kunst beurteilt. Auch die Biografie ist wichtig, zumal sie Strittmatter in seinen autobiografischen Werken wichtig war. Und seine Biografie weist Ecken und Kanten auf, über die wir, die sich mit ihm beschäftigen, in Austausch treten bzw. es thematisieren müssen. Er hat sich 1941 freiwillig zur Ordnungspolizei gemeldet, seine grausamen Kriegserlebnisse verdrängt, hatte sich in den 50-er Jahren eine tiefe Dankbarkeit der DDR gegenüber anerzogen, sich Ende der 60-er Jahre desillusioniert aus der Politik zurückgezogen und schwieg zu seiner von der DDR unterstützten antifaschistischen Legende.

Trotz Strittmatters oft naiv-schelmischer Sicht auf die Wirklichkeit, hat er sich in seinen Werken eindeutig für Humanismus und gegen Krieg und Militarismus ausgesprochen.

Nur Kritik kann einen Autor am Leben erhalten, sagte in den selbigen Nachrichten der Literaturwissenschaftler Professor Gansel. So will ich es halten und versprechen, dass wir eine würdige Feierstunde am 18. August und ein Hoffest in Bohsdorf am 19. August vorbereiten.

Und vielleicht sollten die Lokalpolitiker aus Spremberg in nächster Zeit eins seiner Werke zur Hand nehmen.

Anbei ein Tagebucheintrag vom 8. April 1978 aus „Die Lage in den Lüften“(1990)

Der Roman ist abgegeben (gem. Wundertäter III), aber ich gehe umher wie ein Mörder, der bangt, dass man seine Tat bald entdecken wird.

Kann es soweit kommen, dass ein Mensch fürchtet, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn er aufschreibt, was er in seiner Umgebung und in seiner Gesellschaft, in der erlebt, durchschaute und erkannte?

Das ist so, weil ich bereits in der zweiten Diktatur lebe und weil ich in beiden Diktaturen (auch in der zweiten, von der ich etwas erhoffte) nach dem Grundsatz gehandelt wird: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wer uns kritisiert, ist ein Abgesandter des Feindes.

Ob Rechts-, ob Links-Diktatur, in beiden wird der Geist vergewaltigt. In der einen wird der anderen vorgeworfen, dass sie den Menschengeist knechtet, und umgekehrt. Wie kann ein denkender Mensch das gutheißen? Er heißt es nicht gut, doch allmählich bildet sich in ihm das Gefühl heraus, ein Ketzer, ein Verbrecher zu sein. Er ist allein, und derer, die die der Diktatur lobsingen, sind viele …

Renate Brucke