„Im Kleinen das Große erkennen und zeigen und beschreiben – das hat Erwin Strittmatter getan, gleich Tolstoi, Hesse, Faulkner, Proust, Emerson.“An diese Würdigung der „Süddeutschen Zeitung“ zum Ableben unseres Namensträgers am 31. Januar 1994 wurde zu Beginn erinnert. Die Besonderheit lag in der gemeinsamen Einladung des Bürgermeisters der Stadt Spremberg, Herrn Dr. Schulze und des Vereinsvorsitzenden. Die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Frau Franke leitete die Versammlung. Eingeladen waren folgerichtig die Stadtverordneten aller Fraktionen und eine interessierte Öffentlichkeit. Akteure im Podium waren Herr Pfarrer
a. D. Gloege aus Bonn sowie Herr Barth und Frau Giesecke, die beide sowohl vom Ehrenmitglied unseres Vereins, Frau Eva Strittmatter, als auch vom Aufbau-Verlag beauftragt waren, Recherchen zur „Militärvergangenheit von Erwin Strittmatter“ anzustellen. Leider war es Herrn Liersch nicht möglich, der gemeinsamen Einladung des Bürgermeisters und des Vereinsvorsitzenden zu folgen. Er avisierte die Teilnahme von Frau Dr. Kirschnick, Herrn Dr. Corino und Herrn Magenau, die bei Nachfrage zu Beginn offensichtlich nicht zum Teilnehmerkreis gehörten. Dafür herzlich begrüßt wurde eine polnische Studentin, die an der Jagiellonen-Universität Krakow/ Krakau ihre Magisterarbeit zur Sprache im Werk von Erwin Strittmatter schreibt.
Mit tiefer Betroffenheit erfuhr die Versammlung vom Ableben des Malers und Grafikers Lothar Sell (des „Sächsischen Chagall“), der für den Verein das inzwischen vergriffene Büchlein „Eine Stunde ist eine Stunde“ schuf und intensiv am Buchprojekt „Zeitchen vergeht“ mit Strittmatter-Worten zur Lebenswelt um Bohsdorf und Spremberg gearbeitet hat. Im Vermächtnis beider liegt unsere Aufgabe, dieses Projekt zur Herausgabe zu führen.
Herr Barth stellte Fakten, Vermutungen und offene Fragen in der gegenwärtigen Arbeitsphase seiner Recherchen vor. Er konzentrierte sich auf die Lebenszeit von Erwin Strittmatters Schutzhaft 1934 in Döbern; eine Bewerbung zur SS, die abgelehnt wurde, eine bisher unbekannte Zeit von zwei Monaten bei der Bewachung von Gefangenen im Gefängnis von Krakow/ Krakau sowie die Umstände seiner Militärzeit zu Ende des Krieges. Genauer beleuchtete Herr Barth den Umgang der SED-Führung und des MfS mit der Biographie und der Person Strittmatters. Bei aller notwendigen Polemik, der Faktenlage sowie der Betroffenheit der Zuhörer wurden zwei Aussagen von Werner Liersch in seinem Beitrag vom 8. Juni 2008 in der FAZ bekräftigt.
1. Erwin Strittmatter war nicht Mitglied der SS und
2. „Es ist nicht bekannt, dass Strittmatter in ein Verbrechen der schrecklichen Polizisten verstrickt war …“
Die Recherchen sind zur Zeit allerdings in einem Arbeitsstadium und auf Wesentliches zu konzentrieren.
Herrn Pfarrer a. D. Gloege ist zu verdanken, dass er die Betroffenheit der „Gemeinde“ sensibel aufnahm und kraftvoll half, nach vorn zu blicken:
1. Er konnte Rechercheergebnisse aus dem Studium von ca. 5.000 Seiten des Werkes über die Verarbeitung der Militärzeit Strittmatters in dessen Poesie nachweisen. Diese Leistung hat der Literaturwissenschaftler Werner Liersch nicht erbracht.
2. Der Text Gloeges steht seit 14 Tagen auf der Homepage des Vereins (www.strittmatter-verein.de).
3. Herr Pfarrer Gloege forderte die Gemeinde durch seine präzise Sicht zum Nachdenken über: Zwänge, Haltungen des Verdrängens und des Schweigens von Erwin Strittmatter zu verschiedenen Gelegenheiten nach dem Krieg auf. Er sprach auch von zwei ICHs beim Autor, bei den Menschen überhaupt.
„Spremberg, sein Geburtsort, kann stolz auf ihn sein“, resümierte dennoch der Autor des Buches „Der unbekannte Strittmatter“.
Frau Dr. Giesecke erinnerte daran, dass sich Strittmatter als „Aufschreiber“ verstand, der seine Erlebnisse und Erfahrungen nicht um Historie zu beschreiben benutzte, sondern um sie zu poetisieren. Das Werk spreche für sich und es bleibe ohne Einschränkung beim Verlag.
Die Diskussion konzentrierte sich auf die Frage: „Muss ein Schriftsteller moralische Instanz sein?“ Die Zugänge zur Antwort waren naturgemäß individueller Art.
Die polnische Studentin brachte im persönlichen Gespräch ein: „Vergessen darf man nicht, aber verzeihen soll man können“.
Einig war sich die Versammlung in der Verehrung für das Werk von Erwin Strittmatter und der Fragwürdigkeit der Polemik fünfzehn Jahre nach dessen Tod, sowie der notwendigen Unschuldsvermutung, wenn keine belastbaren Fakten für eine persönliche Schuld vorliegen.
P.S. Verwunderlich ist, dass der zur Versammlung von Herrn Liersch avisierte, aber nicht geoutete Herr Dr. Corino dennoch darüber berichtete („FR“, 4. Februar 2009) und Herr Liersch, nunmehr sogar wider vorheriger Aussage, eine „SS-Mitgliedschaft Strittmatters“ kundtat (FAZ, 8. Februar 2009). Der letzteren Zeitung war es nicht möglich, den drei Beiträgen des Literaturwissenschaftlers Werner Liersch, die Recherchen im Werk von Erwin Strittmatter durch Herrn Gloege (Autor von „Der unbekannte Strittmatter“) beizufügen.
Dr. Manfred Schemel
Vorsitzender