Der Bohsdorfer Strittmatter-Verein hat ein Jubiläum zu vermelden, wird er doch im Sommer zwei Jahrzehnte alt.
Dies bot Freunden, Lesern, Familienangehörigen des Dichterpaares, Literaten, Theaterleuten und bildenden Künstlern Anlass, sich auf vielfältige Weise an die Lyrikerin aus Neuruppin und den Erzähler aus Spremberg zu erinnern. Die erste titelstiftende Idee, „Loadengeschichten“ zu erzählen, wurde aufgegeben, da sie zu sehr auf die Anfänge Erwin Strittmatters fokussiert war. Der nunmehrige Titel „Von Bohsdorf nach Schulzenhof“ nimmt auch jenen Ort in den Blick, den beide Künstler durch ihre Bücher literaturtopografisch unvergesslich gemacht haben.
Die Leser wissen, dass die Strittmatters streitbare Leute waren und noch immer sind, nicht jeder war und ist jedem grün. So konnten nicht alle Texte, die die Herausgeber Renate Brucke und Matthias Stark im Auge hatten – Strittmatters frühe Hundegeschichte „Flock“ und mancher Brief etwa – abgedruckt werden. Bei beiden Strittmatters handelt es sich im besten Sinne um „Volksschriftsteller“: Sie wurden von Hunderttausenden gelesen, geliebt und verstanden. Es ist nicht verwunderlich, wenn nun – ermuntert durch den Literaturverein- zahlreiche Leser selbst zur Feder bzw. zum Zeichenstift gegriffen haben. Entstanden sind Gedichte, Anekdoten, Berichte, Interviews, Aquarelle, Linolschnitte, Fotos und manches mehr. Renate Brucke, die nimmermüde Vereinsvorsitzende, schuf einige bildkünstlerische Werke, darunter (auf Seite 67) eine sensible Bleistiftzeichnug von Eva Strittmatter. Zudem brachte sie etliche lebende Zeitgenossen, darunter Strittmatters Sohn Knut (aus der erster Ehe) zum Reden und montierte gar ein fiktives Gespräch mit dem längst verstorbenen Autor der „Laden“ – Trilogie. Möge dieses nicht zuletzt bei Neulesern Strittmatters auf Interesse stoßen.
Die Anthologie hat auch etwas von einem Sachbuch, wenn etwa über die Arbeit der Laden-Gedenkstätte sowie über die indessen legendären Dorf- und Friedhofspaziergänge berichtet wird. Es dürfte im Interesse der Namenspatronen gewesen sein, wenn für diesen Almanach Profis und Laien Gemeinsames schufen. So steht gleich eingangs die dunkelböse Radierung von Hubertus Giebe, die uns Erwin im Jahre 1987 zeigt, neben einer ganz neuen Federzeichnung, einem Porträt Evas, geschaffen von Gudrun Stark.
Kritik verdient das wenig brauchbare Inhaltsverzeichnis, da die vielen Autoren dort ungenannt bleiben. Dies trifft beispielsweise Weise auf Judka Strittmatter zu, Erwins erste Enkelin, die bereits den autobiografischen Roman „Die Schwestern“ vorlegte, in dem der Großvater eher kritisch betrachtet wurde. Hier hingegen ist sie mit dem schönen Text „Ein kurzes Glück, ein langes Ende“ vertreten. Die Interviewpartner hingegen werden im Inhaltsverzeichnis genannt, darunter Carmen-Maja Antoni, die famose Darstellerin der Anderthalbmeter – Großmutter, die wir in den „Laden“- Filmen erlebten. Diese zierliche Frau hat es immerhin zum Ehrenmitglied des Strittmatter- Vereins gebracht, dessen Arbeit sie außerordentlich wertschätzt.
Große Dichter hatten – zumal wenn sie sich zu Zeiten des Kalten Krieges in den kulturpolitischen Dienst des sozialistischen Staates stellten – ihre Fehden, ihre politischen Zerwürfnisse. Auch bei Peter Jokostra, dem Schulfreund aus der Spremberger Gymnasialzeit, und Erwin Strittmatter war dies nicht anders. Einige Debatten über die Funktion der sozialistisch-realistischen Literatur, die in den fünfziger und frühen sechziger Jahre geführt wurden, hat Strittmatter als Funktionär des Schriftstellerverbandes prinzipiell, hart, mitunter auch dogmatisch ausgefochten. (Später bot er selbst, etwa mit dem „Bienkopp“ und dem dritten „Wundertäter“, bornierten Kulturpolitikern genügend Angriffsflächen.) Jokostra stand mit seiner Lyrik, die man vormals als westlich-dekadent einstufte, auf der anderen Seite der Barrikade. 1958, nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik hat er zurückgekeilt und zunächst Strittmatter, aber auch andere Kollegen in der Sprache des Kalten Krieges wiederholt attackiert. Der Strittmatter-Verein hat nicht nur Lorbeeren geerntet, als er diese Debatten wieder aufflammen ließ, Referenten einlud. In der Biografie von Annette Leo, auch in dem neuen Buch kann man die alten Dispute nachlesen und sich ein Urteil bilden. Lieben muss man Jokostra wohl nicht, aber auch dieser streitbare Zeitzeuge und Autor sollte auf einer angedachten Dichterstraße seinen Platz finden.
Geben wir der Schulzenhofer Lyrikerin und dem zweiten Herausgeber Matthias Stark, der seit Jahren Gedichte schreibt, die Ehre. Sein dreistrophiger lyrischer Text „Eva S.“ endet so:
Vögeln gleich fliegen die Worte
Von Schulzenhof nach hier und dort,
erreichen ungeahnte Orte
und leben in den Herzen fort.
Von Bohsdorf nach Schulzenhof – Auf den Spuren von Eva und Erwin Strittmatter, herausgegeben von Renate Brucke und Matthias Stark, Schütze, Engler, Weber Verlags GbR- Dresden, ISBN 978-3-936203-28-8, 167 Seiten.