Artikel aus der LR vom 03. Februar von Torsten Richter zu unserer Mitgliederversammlung
Bohsdorf „War je ein Bäcker ein wirklicher Schriftsteller gewesen?“ – Diese provokante Frage hat Literaturwissenschaftler Ullrich Kaufmann beantwortet. Der Thüringer präsentierte dem Strittmatter-Verein in Bohsdorf Ergebnisse seiner jüngsten Nachforschungen.
Was haben Erwin Strittmatter (1912 – 1994) und Oskar Maria Graf (1894 – 1967) gemeinsam? Beide sind überregional bekannte Schriftsteller. Und Bäcker. Während der Lausitzer Strittmatter im Bohsdorfer Familienbetrieb von der Pieke auf lernte, wie Brötchen gebacken werden, arbeitete der Bayer Graf im Unternehmen seines Vaters ebenfalls in der Backstube. Erst später widmeten sich beide der schöngeistigen Literatur.
Der Thüringer Gymnasiallehrer Dr. Ullrich Kaufmann hat die Biografien der beiden Autoren verglichen und interessante Entdeckungen getätigt. Diese präsentierte er während eines Vortrages vor knapp 50 Mitgliedern des Strittmatter-Vereins.
Um es vorwegzunehmen: Erwin Strittmatter und Oskar Maria Graf sind sich Zeit ihres Lebens nie persönlich begegnet. „Und dennoch verbinden die beiden Schriftsteller mehrere Gemeinsamkeiten“, hat Kaufmann herausgefunden. Beispielsweise ihre Liebe für Kalendergeschichten. Oder ihre Bekanntschaft zum Dramatiker Bertolt Brecht. Die Verehrung des russischen Schriftstellers Lew Tolstoi. Und ohnehin die Liebe zu verschiedenen Regionen der Sowjetunion, beispielsweise Georgiens.
Dennoch handelte es sich laut Kaufmann um völlig unterschiedliche Charaktere. Während sich Erwin Strittmatter gegenüber den politischen Machthabern eher kompromissbereit präsentierte, stand Oskar Maria Graf für eine klare politische Linie. Daraus resultiert eines seiner bekanntesten Werke „Verbrennt mich“ unter dem Eindruck der Bücherverbrennung in Deutschland im Mai 1933.
Allerdings, so hat Pädagoge, Germanist und Historiker Kaufmann herausgefunden, verläuft bezüglich beider Autoren noch immer eine Trennlinie durch das literarische Deutschland. Während Graf im Osten weitgehend unbekannt ist, ergeht es Strittmatter an Rhein und Donau ebenso. Selbst in Kaufmanns thüringischer Heimat wusste die Mehrzahl seiner Schüler mit dem Namen Erwin Strittmatters so gut wie nichts anzufangen. Allerdings half die Pferdeliebe des berühmtesten Bohsdorfers zumindest bei mehreren Schülerinnen, das Eis zu brechen. Kein Wunder, dass Strittmatters Werk „Pony Pedro“ von den Jugendlichen regelrecht verschlungen wurde.
Darüber hinaus ließ Kaufmann eine Ausstellung über den Pferdenarren vom Schulzenhof anfertigen. Diese soll, so kündigte er an, demnächst auch in Bohsdorf präsentiert werden.
Einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen den schreibenden Bäckergesellen gibt es aber doch noch: Denn das Ladengeschäft in Grafs Heimat am Starnberger See ist bis heute in Betrieb. In Bohsdorf ist der Duft nach frischem Brot dagegen dem musealen Flair gewichen. Immerhin: Strittmatter und Graf hätten bewiesen, dass selbst jemand, der anfangs nur kleine Brötchen bäckt, durchaus Weltliteratur schreiben kann, resümierte Ullrich Kaufmann. Im Übrigen trifft diese Feststellung nicht nur auf den Lausitzer und den Bayern zu, sondern auf eine Reihe weiterer Autoren. Der bekannteste dürfte der sowjetische Schriftsteller Maxim Gorki (1868 – 1936) sein. Der war neben seinen Tätigkeiten als Lumpensammler, Vogelhändler und Maurer ebenfalls als Bäckergeselle tätig.