Dichter und Pferdemann
von Matthias Stark
Am 31. Januar jährt sich nun bereits zum zwanzigsten Mal der Todestag von Erwin Strittmatter. Der in Ostdeutschland zu den bekanntesten Autoren gehörende Schriftsteller vollendete an diesem Tag sein bewegtes Leben. Der noch im Kaiserreich im Jahr 1912 in Spremberg geborene Strittmatter wurde geprägt durch seine Niederlausitzer Heimat, die er poetisierte, er er- und durchlebte Zeiten voller Brüche und Widersprüche.
Strittmatter war ein junger Mann zur Zeit des Dritten Reiches, er war „im besten Alter“ als die DDR gegründet wurde, mit deren Grundsätzen er sich anfangs identifizieren konnte und er war ein betagter Herr, als diese DDR aufhörte zu existieren. Immer und immer wieder war er, wie Millionen andere auch, gezwungen, mit den sich ändernden Verhältnissen klar zu kommen, das persönliche Leben in einer Zeit der Umwälzungen zu gestalten und zu führen. Und seit der Offenlegung seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg wissen wir, dass Strittmatter seine Biografie, wenn man wohlmeinend urteilt, zumindest geschönt hat. So mancher hält es aber schon für Lüge und Betrug, dass sich der ostdeutsche Autor seinem Millionenpublikum nie wirklich offenbarte, wenn es um die Zeit von 1933 bis 1945 ging. Wir, seine Leser, nahmen ihm seine literarischen Darstellungen dieser Zeit ab, wohl deshalb, weil wir sie aus dem „Wundertäter“ oder aus der Erzählung „Grüner Juni“ zu kennen glaubten.
Und doch hat die Bereitschaft, sich auf das literarische Werk von Erwin Strittmatter einzulassen seither nicht abgenommen. Im Gegenteil, Strittmatter wird auch von Lesern geschätzt, welche die Zeit seiner größten Erfolge nie selbst erlebt haben, die schon zu den Nachgeborenen zählen und die DDR nicht aus eigenem Erleben kennen. Was aber ist der Grund dafür, dass Erwin Strittmatter weiterhin gelesen wird, er geehrt und sich weiterhin mit ihm auseinandergesetzt wird? Ich denke, wir schätzen den Autor nicht wegen der Brüche in seinem Leben sondern trotz dieser. Neben der unbestrittenen literarischen Qualität seiner Bücher ist es vor allem auch seine Biografie, das Hin und Her, Auf und Ab seines Lebens, was die Faszination der Person Strittmatter ausmacht. Die Beschäftigung mit Leben und Werk von Erwin Strittmatter führt unweigerlich zu vielen Erkenntnissen über geschichtliche Zusammenhänge.
Wir wissen heute aus den Veröffentlichungen zu seiner Person recht gut, wie sich Erwin Strittmatter im Laufe seines Lebens verhalten hat, was er tat oder nicht tat, wie er handelte oder wo Handlung unterblieb und so mancher zieht daraus den Schluss, dass Strittmatter ein Rosstäuscher war, der die Wertschätzung seiner Person nicht verdient, die er erhält. Aber ist dem so? Welcher Mensch hat in seinem Leben immer wahrhaftig und ehrlich gehandelt, stets mit größer Offenheit alles gesagt, nichts verschwiegen und nie um eines Vorteils willen auch nur ein wenig an der Wahrheit herumgeschraubt? Warum wird vom Schriftsteller Erwin Strittmatter ein hoher Grad an Aufrichtigkeit verlangt, welcher für jeden anderen Mitmenschen, nun sagen wir, nicht ganz so streng gilt? Man wird mir antworten: Weil Strittmatter durch seine Bekanntheit und seine Beliebtheit zu einer moralischen Instanz heranwuchs, weil er Vorbild war für so manchen östlich der Elbe. Und dennoch begeht man einen Fehler, wenn man das Höchstmaß an Ehrlichkeit ausgerechnet bei einem Dichter vermutet, einem Autor von Romanen und Erzählungen, der ja geradezu angewiesen ist auf seine Fantasie und sich seine Welten stets selber zu bauen pflegt. Es gab und gibt ja so manchen Literaten, über dem man kübelweise Schmutz ausgeschüttet hat und dessen Werk trotzdem fest in der Brandung steht, weil es einfach zu groß ist, als das sich die Kleingeister daran versuchen könnten. Was Strittmatter gewiss nicht war, ist ein offener Widerständler gegen die herrschenden Verhältnisse, weder vor noch nach 1945. Er war viel eher ein Opportunist, einer der sich, zwar teilweise recht kritisch, aber nie kämpferisch mit den herrschenden Verhältnissen auseinandersetzte und dann doch irgendwie arrangierte. Und damit ist er ganz einfach so, wie die ganz, ganz große Mehrheit von uns allen!
Machen wir uns nichts vor: Zu Fehlschlüssen kommt leicht, wer im warmen Heute über Verhalten, Taten und Entscheidungen urteilt, die jemand in rauer und kalter Winternacht durchzuführen und zu treffen sich gezwungen sah. Was wissen wir, die wir gottlob in, zumindest persönlichen, Friedenszeiten leben dürfen, über die Qualen und Hintergründe, die sich zu Handlungen auswuchsen in harten und schweren Jahren. Wir sollten gnädig urteilen über die Generation unserer Großväter und Urgroßvater, die sich verlaufen konnten im Dschungel der Ideologien und zu Mitläufern wurden in die eine, die andere oder gar aller möglichen Richtungen.
Was an Strittmatter aber den Leser seiner Bücher immer noch fasziniert, ist die großartige Poetisierung des Alltags. Er führte an der Seite seiner dritten Frau Eva, einer der auflagenstärksten Lyrikerinnen, ein Leben, welches für DDR-Verhältnisse weit jenseits des Alltäglichen lag. In der ländlichen Idylle von Schulzenhof bei Dollgow fanden sowohl Erwin wie auch Eva das Sujet für die literarische Arbeit, hier lebten sie mit Pferden, kleiner Landwirtschaft und „kelterten zu Poesie“ (der Ausdruck findet sich im Werk beider mehrfach), was ihnen widerfuhr. Zu den großen Widersprüchen gehört dabei, dass ihre Kinder unter den Launen, Schnurren und Wutausbrüchen ihres Vaters litten und sie wenig von dieser Poesie kosten konnten, die wir, ihre Leser, so bewundern. Die Strittmatters waren geachtet und geschätzt, fest in das literarische Leben in der DDR integriert und führten doch ein Leben, das außerhalb des im Osten Üblichen stand. Das machte und macht den Reiz aus, der von beiden Autoren bis heute ausgeht.
Strittmatter war ein „Pferdemann“, er lernte bereits früh vom Großvater alle Tricks und Kniffe der Pferdeleute. Er züchtetet selbst und hatte so ein, wie man heute sagen würde, zweites Standbein neben seiner literarischen Arbeit. Und auch daraus entstand Literatur, die noch heute Gültigkeit besitzt und auch in moderner Zeit ihre literarische Kraft entfaltet. Sein „Pony Pedro“ begleitet viele Menschen seit Jahrzehnten. Das große Alterswerk Strittmatters jedoch, die Romantrilogie „Der Laden“, bleibt mit seiner Wortmächtigkeit und Handlungsfülle ein immer wieder neu zu entdeckendes Universum an Poesie, dichterischer Stärke und Lebensweisheit.
Was können wir nun von Strittmatter für das eigene Leben lernen? Das Opportunismus seine Grenzen hat? Das kritische Hinterfragen aller Dinge oberstes Gebot ist? Das man aufrichtig und ehrlich seinen Lebensweg beschreiten muss? Das man seine Familie nicht hinter seine Arbeit stellen sollte? Vielleicht ist es dies alles, vielleicht ist es aber nur die ganz profane Wahrheit, dass auch Dichter und andere Künstler, selbst wenn sie zu den ganz Großen zählen, immer und zuallererst Menschen sind, Menschen mit allen Fehlbarkeiten, die eben auch den großen Geistern eigen ist.
Strittmatter wird unvergessen bleiben!
Autor: Matthias Stark,
www.stark-stolpen.de