Artikel aus der LR – Mit Briefen an die Familie in Bohsdorf

Mit Briefen an die Familie in Bohsdorf
Bohsdorf Alle zwei Monate hat Erwin Strittmatter in Schulzenhof einen Brief nach Hause an die Familie in Bohsdorf geschrieben. Dr. Manfred Schemel, Vorsitzender des Erwin-Strittmatter-Vereins, will jetzt eine Auswahl davon zusammen mit Gedanken des Schriftstellers und Holzschnitten Lothar Sells zum „Ochsenkutscher“ in dem Buch „Zeitchen vergeht…“ veröffentlichen.

50 Holzschnitte hat der Grafiker und Bildhauer Lothar Sell (1939 bis 2009) um 1974/75 zu Strittmatters »Ochsenkutscher« (1950) geschaffen. Die Ausgabe mit den Illustrationen erschien 1976 beim Philipp Reclam jun. Verlag in Leipzig und bei Röderberg in Frankfurt am Main. Sells Sinn fürs Bäuerliche passt wunderbar zu den Dorfgeschichten um Lope Kleinermann, Held in Strittmatters erstem Roman, der vor 60 Jahren als Vorabdruck in der »Märkischen Volksstimme« erschienen war. Mal als kleine Vignetten, mal buchseitengroß ist zu sehen, wie Kriemhild von Rendsburg die Rose überm Antlitz ziert, wie Onkel Blemska Lope den Hintern versohlt, wie Lope mit der Krämerin die Heringe aus dem Fass zählt, wie die Frau Inspektor den Herrn Inspektor nackt vom abendlichen Besuch der Brennerei abhalten will oder wie Lope seine Schwester Trude mit Albert Schneider erwischt.

Groß war die Trauer im Erwin-Strittmatter-Verein, als die Mitglieder im Januar 2009 die Nachricht vom Tod des Grafikers Sell aus Meißen erreichte. Bereits der immerwährende Strittmatter-Kalender »Eine Stunde ist eine Stunde«, der 2005 unter der Federführung von Roland Quos und Manfred Schemel im Alfa-Verlag erschienen war, enthielt Grafiken von Sell. Und erst elf Monate vor dem Tod waren seine Arbeiten in der Begegnungsstätte »Unter Eechen« in Bohsdorf ausgestellt. Manfred Schemel hat die Witwe für das lange geplante neue Buch »Zeitchen vergeht…« gewinnen können. Was ihr Mann einst für den »Ochsenkutscher« herausgearbeitet hatte, soll diesmal zu einer Sammlung von Briefen und Gedanken Erwin Strittmatters passen.

Briefe an die »liebe Mama«, an den Vater und vor allem auch an Bruder Heinjak hat Schemel aus dem Familienbesitz, den Ranghild Pannusch in Bohsdorf als Nichte des Schriftstellers hütet, ausgewählt. Die Zeilen kamen aus Schulzenhof. Aber auch aus Berlin und aus Spremberg seien zwei Briefe dabei, sagt Schemel. Sie sind voll mit Alltag, zeigen, wie vertraut das Verhältnis zwischen den beiden Strittmatter-Brüdern war. Erwin gibt Heinjak Tipps, erledigt Besorgungen in Berlin, an die die Familie in Bohsdorf nicht herankam. Und Erwin Strittmatter schildert in einem Brief von 1954 auch, wie glücklich er ist, mit Eva endlich die richtige Frau gefunden zu haben. Schemel hofft, dass das Buch noch in diesem Jahr erscheint.

Dass es genug Interessenten für neue Publikationen zu Strittmatter gibt, hat die Museumsnacht auf dem Hof vom »Laden« in Bohsdorf bewiesen. 50 Literaturfreunde lauschten der Lesung, die die stellvertretende Vereinsvorsitzende Renate Brucke diesmal zur Strittmatter’schen Schreibsucht zusammengestellt hatte.